Rückblick: Cultura21 Themenabend „Can Artists Change China?“

Am 16. Juni fand an der Leuphana Universität Lüneburg ein Themenabend rund um die Verhaftung von Ai Weiwei statt. Mehr als hundert TeilnehmerInnen jeden Alters kamen zu der Veranstaltung (Presseartikel über die Veranstaltung). Eine Woche danach erfuhren wir erleichtert von der Freilassung Ai Weiweis, nach fast drei Monaten. Doch viele Fragen bleiben unbeantwortet – auch von dem verstummten Ai Weiwei. Die Aussage der chinesischen Behörden, Ai Weiwei sei aufgrund „seiner guten Haltung im Bekenntnis seiner Verbrechen“ (Steuerhinterziehung) auf Kaution freigelassen worden, verdeutlicht die anhaltende Bedrohung einer erneuten Inhaftnahme des kritischen Künstlers. Viele MenschenrechtlerInnn und AktivistInnen, die wegen der friedlichen Ausübung ihrer Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Rechte, die von der chinesischen Verfassung und internationalen Menschenrechtserklärungen garantiert sein sollten) festgenommen wurden, sind noch immer in Haft (siehe auch: FIDH Pressemitteilung).

Die Themen, die am 16. Juni an der Leuphana Universität Lüneburg besprochen wurden, bleiben von größter Relevanz und Aktualität. Lesen Sie im Folgenden einen Rückblick der Debatte „Can Artists Change China?“:

Internationale Aufmerksamkeit

„Er ist im Westen berühmt, aber in China ist seine Bekanntheit sehr begrenzt, auch aufgrund der Zensur“, sagte documenta12 Direktor Roger Buergel. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass die Darstellung Ai Weiweis in westlichen Medien zu einseitig ist und der Komplexität der Welt der Kunst in China oder die Lage der Menschenrechte nicht gerecht wird. Die Aufmerksamkeit der Medien sollte sich nicht auf einen „Helden“, sondern verstärkt (und kontinuierlich) auf das generelle Vorgehen der chinesischen Regierung gegen viele Menschenrechtsaktivisten richten.

Wer die Grenzen überschreitet

Ai Weiweis Verschwinden hat gezeigt, dass niemand vor dem starken Arm der Regierung sicher ist, wenn er oder sie die Regierung öffentlich kritisiert, insbesondere in so sensiblen Frage wie den Gebäudekonstruktionsfehlern in Sichuan, die bei dem großen Erdbeben im Jahr 2008 für den Tod von tausenden von Schülern verantwortlich waren. Die Frustration und Unzufriedenheit der Mehrheit der chinesischen Bevölkerung im Angesicht der ökonomischen Ungleichheit und sozialen Ungerechtigkeit ist in vielerlei Hinsicht groß und Ai Weiwei fand hierfür Gehör in der internationalen Gemeinschaft (womit er als zunehmende Bedrohung für das Regime galt).

Wirtschaftswachstums als Legitimation für Menschenrechtsverletzungen?

Die chinesische Regierung argumentiert häufig, dass das chinesische Volk insgesamt freier ist als je zuvor. Solche propagandistischen Argumente verschleiern jedoch die Wirklichkeit. In der Podiumsdiskussion wurde darauf hingewiesen, dass der Wohlstand des Staates in großen Teilen genutzt wird, um innere Unruhen und Aktivismus gegen soziale Ungerechtigkeiten unter Kontrolle zu halten. Zum ersten Mal übersteigen sogar die Ausgaben für die öffentliche Sicherheit diejenigen der nationalen Verteidigung.

Rolle der Künstler bei einer sozialen Transformation Chinas?

Künstler nehmen große Risiken auf sich, wenn sie sozialen Aktivismus betreiben, aber sie sind eine Minderheit unter den verschiedenen Gruppen, die für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit eintreten. Auch nehmen nicht viele Künstler ij China politischen Positionen ein. Künstler sind tendenziell elitär mit urbaner Basis und ihre Hauptziele sind Ruhm und Gewinn. Andersherum ist es schwierig Kunst, die politische Aussagen treffen will, zu finanzieren. Weder gibt es – naturgemäß – Subventionen vom Staat, noch können problemlos Finanzmittel aus dem Ausland genutzt werden. Die Möglichkeit des Geldtransfers an inländische Institutionen, darunter NGOs, werden durch die Behörden stark kontrolliert, manipuliert und beschränkt.

Rolle der internationalen Gemeinschaft

Externe Ansprüche des Westens können zwar als „kolonial“ gesehen werden – was auf diese Weise von der chinesischen Regierung kommuniziert wird, um nationale Unterstützung in der Bevölkerung zu erzeugen. Auf der anderen Seite ist Schweigen jedoch keine Option. Immerhin hat der starke öffentliche Aufschrei mit zur Verbesserung der Situation für Ai Weiwei beigetragen.

Von Ronja Röckemann

Ronja Röckemann was the intern of Cultura21 from April to July 2011. She has a Bachelor degree in the field of Cultural Sciences and continues to study at Leuphana University in the Master program "Sustainability Sciences".